Der VLW Rheinland-Pfalz in den achtziger Jahren
Von Helga Giebson
Der Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen in den achtziger Jahren
Die Zeit, in der ich 1983, zunächst kommissarisch, und ab 1984 als gewählte Landesvorsitzende den Verband vertrat, war nicht sonderlich günstig, um Schule und Bildung im allgemeinen und Berufsbildung im Besonderen in einer breiten Öffentlichkeit populär zu machen. Die Medienwelt beschäftigte sich vielmehr intensiv mit Themen des Umweltschutzes, der Dritten Welt, Atomkraft und Abrüstung. Für Bildungsaufgaben fehlte es an Geld, so dass die Verbandsarbeit sich wieder einmal auf das beharrliche „Bohren von dicken Brettern“ konzentrieren musste.
Deshalb ist es unzweifelhaft, dass die Geschichte des VLW auch immer die Geschichte des beruflichen Schulwesens in Rheinland-Pfalz dokumentiert, denn der Verband hat seine Arbeit, neben seinen standespolitischen Aufgaben, stets als Dienst und Mithilfe an der Weiterentwicklung kaufmännischer Berufsausbildung in unserem Land verstanden.
Da der vorgegebene Umfang dieses Artikels inhaltliche Beschränkung vorgibt, mögen nur einige Beispiele die Aktivitäten des VLW in den achtziger Jahren in Erinnerung bringen.
Wenn Erasmus behauptet: „Ein Stand muss lehren, der andere nähren, der dritt‘ muss bösen Buben wehrn“, gilt diese scharfe Differenzierung nicht für die Interessenvertretung der Lehrer an Wirtschaftsschulen. Auf Grund der spezifischen Situation des berufsbildenden Schulwesens treffen vielmehr alle drei Standesmerkmale für seine Lehrerinnen und Lehrer zu und bestimmen damit den Aufgabenbereich ihres Verbandes.
Schul- und Bildungspolitik
Unsere Schulart stand und steht, wie keine andere, im Schnittpunkt einer Vielzahl sich widerstrebender gesellschaftlicher Interessen und Kräftefelder. Es galt deshalb, Angriffen aus Politik und Wirtschaft auf bewährte Strukturen des kaufmännischen Schulwesens zu „wehren“. Fehlende Lehrer einerseits, hohe Klassenfrequenzen, verkürzte Ausbildungszeiten, schwierige Organisationsvorgaben für Unterrichtszeiten, sowie sich stark wandelnde Schülerstrukturen andererseits kennzeichneten den Unterricht an Wirtschaftsschulen.
So konnte der VLW zum Beispiel, trotz vielfacher Bemühungen, nicht verhindern, dass in Berufsschulklassen die Stundentafeln gekürzt wurden. Das verbleibende Unterrichtsangebot musste auf Betreiben der Kammern so organisiert werden, dass – wider jede pädagogische Vernunft – die Jugendlichen einen jeweils achtstündigen Berufsschultag zu verkraften hatten.
Darüber hinaus stritt der Verband für mehr Flexibilität in Fragen der Klassenfrequenzen und Klassenbildungen. Messzahlen von durchgängig 30 bis 33 Schülern, sowohl in fachlich anspruchsvollen Abiturientenklassen als auch in den lernschwierigen Berufsfach- und –Berufsgrundschulen widersprachen allen lautstark propagierten Aussagen von Politik und Wirtschaft, den Jugendlichen im Rahmen ihres individuellen Bildungsanspruches einen qualifizierten und existenzsichernden Ausbildungsunterricht anzubieten.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich noch gut an heftige Diskussionen des Verbandes mit der Kultusbehörde, um wenigstens für den Datenverarbeitungsunterricht eine Klassenteilung zu erreichen, die es ermöglichte, das „nur“ zwei Schüler gemeinsam an einem Gerät arbeiten konnten. Von besonderer Bedeutung für unsere Verbandsarbeit war die Einführung und Zuordnung des zehnten Hauptschuljahres mit der damit einhergehenden Verleihung des Sekundarabschlusses I. Diese Maßnahme sollte die schwächelnde Hauptschule aufwerten. Sie gefährdete aber in hohem Maße die Attraktivität bewährter berufsorientierter Bildungsgänge mit gleichem Abschluss, die unter Zugrundelegung längerer Schulbesuchszeiten gleichzeitigt eine solide berufliche Grundausbildung vermittelten.
Der VLW hatte alle nur denkbaren Möglichkeiten ausgeschöpft, um der Kultusverwaltung Alternativen und Vorzüge einer berufsbezogenen Ausbildung für die oftmals „schulmüden“ Hauptschüler aufzuzeigen, konnte aber den „politischen Willen“ nicht umstimmen. Die Entwicklung der Hauptschule in den vergangenen dreißig Jahren hat jedoch bewiesen, dass diese künstliche Aufwertung der Akzeptanz dem Qualifikationsniveau der Schulart nicht genutzt hat.
Als positives Beispiel für Entwicklungsfortschritte, an denen der VLW unter Leitung des damals zuständigen Abteilungsleiters in der Kultusbehörde, Herrn Ministerialdirigent Decker, mitarbeitete, waren die Konzeption und Einrichtung neuer Bildungsgänge. So entstanden zum Beispiel in dem Fachschulbereich in den Schuljahren:
- 1987/88 die Hotelfachschule in Koblenz
- 1989/90 die Fachschulen für Bürokommunikation in Ahrweiler, Boppard, Ludwigshafen, Saarburg und Zweibrücken;
- Im gleichen Jahr die Fachschule für Touristik in Gerolstein und
- 1990/91 die Fachschule für Datenverarbeitung in Koblenz.
Dies war ein mutiger und von den Kammern angefeindeter Schritt der beruflichen Schulen in den Bereich beruflicher Weiterbildung, der bisher als Domäne der Wirtschaft galt.
Personalpolitik
Als Interessenvertretung eines „Standes, der lehrt“, sind personelle Probleme der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen für den Verband eine originäre Aufgabe. Er vertrat sie über die Verbandsgrenzen hinaus während des gesamten Jahrzehnts wirksam mit mehreren Gremiumsmitgliedern im Hauptpersonalrat der Lehrer berufsbildender Schulen bei der Kultusbehörde. Einige Beispiel mögen den Berichtszeitraum charakterisieren:
Laut Landtagsbeschluss vom März 1985 wurden unsere jungen Lehrkräfte – trotz erheblichen Lehrermangels und damit einhergehendem Unterrichtsausfall – nur noch auf 3/4-Stellen eingestellt. Dem VLW gelang es zunächst mit Unterstützung der anderen dbb-Lehrerverbände, dieses Verfahren auf drei Jahre zu befristen. Es wurde darüber hinaus ein Musterprozess zu den Vergabemodalitäten von ¾-Verträgen für Berufsanfänger geführt, der mit seinem Urteil die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme feststellte.
Ein herausragendes Anliegen war dem Verband die Harmonisierung der Arbeitszeit in der Sekundarstufe II. Der Kampf um die Gleichstellung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl mit den Kollegien der Gymnasien dauerte fast vierzig Jahre und endete 1988 endlich mit Erfolg. Dieses Ergebnis war für den Verband ein wichtiger Meilenstein in der Realisierung der Gleichwertigkeit allgemeiner und beruflicher Bildung und zugleich eine längst fällige Anerkennung von jahrzehntelangen erheblichen Mehrbelastungen unserer Kolleginnen und Kollegen an den berufsbildenden Schulen in Rheinland-Pfalz.
Der VLW engagierte sich darüber hinaus auch für eine Arbeitserleichterung für unsere älteren Kollegiumsmitglieder. Ab dem Schuljahr 1986/87 wurde diese sogenannte „Altersanrechnung“ so verbessert, dass jeder voll beschäftigten Lehrkraft ab dem 55. Lebensjahr das wöchentliche Regelstundenmass um zwei Pflichtstunden verkürzt wurde. Diese Maßnahme konnte später auch adäquat auf teilzeitbeschäftigte Lehrer ausgedehnt werden.
Öffentlichkeitsarbeit
Ein Verband muss seine Arbeit einem möglichst breiten Publikum zugänglich machen und erläutern. Von den im Berichtszeitraum jährlich stattgefundenen Großveranstaltungen sei der 1985 durchgeführte Kongress der Lehrer an Wirtschaftsschulen hervorgehoben. Sein Thema „Perspektiven moderner Berufsbildung – duale Partnerschaft ohne Zukunft?“ erzielte sowohl im Land als auch überregional bei Politik und Wirtschaft eine gute Resonanz.
Für die Alltagsarbeit unserer Kolleginnen und Kollegen in den Schulen war das stets aktualisierte „Handbuch für die berufsbildende Schule“ mit den wichtigsten Verordnungen und Gesetzen eine begehrte Hilfe. Darüber hinaus wurden Handreichungen für Referendare, zielorientierte Informationsschriften und „Die Wirtschaftsschule“ als periodisch erscheinende Verbandszeitschrift veröffentlicht.
Die dargestellten Aktivitäten des VLW in den achtziger Jahren, die in meine Zeit als Landesvorsitzende fielen, dokumentieren nur exemplarisch die breite Arbeitspalette unseres Verbandes. Wir konnten Erfolge erzielen, mussten aber auch Enttäuschungen hinnehmen. Beides waren jedoch, auch in den darauffolgenden Jahren, für alle Mitglieder des Landesvorstandes Ansporn und Verpflichtung, sich stets mit ganzer Kraft für die Belange der Kollegien an den Wirtschaftsschulen unseres Landes zu engagieren.